Interview mit Thurgaukultur

Was macht man mit einem fertig produzierten Album, wenn die Pandemie zuschlägt? Nicht den Kopf in den Sand stecken, findet der Konstanzer Musiker Alex Behning. 
Interviewer (Michael Lünstroth)


Alex, mitten in der Corona-Pandemie veröffentlichst Du Dein neues Album. Ist das eine gute Idee?
Viele haben mir geraten, das Album zu verschieben in den Herbst. Aber ich habe gedacht: Vielleicht ist diese Zeit auch eine Chance für mein Album. In dem Sinne, dass die Leute ein Album jetzt auch mal wieder durchhören und sich nochmal ganz anders dafür interessieren, weil sie Zeit dafür haben. Manche entdecken das Musikhören möglicherweise jetzt noch mal neu für sich in Zeiten, in denen man nicht so abgelenkt ist wie sonst.


Wie lange hast Du an dem Album gearbeitet?

Letztendlich waren das zwei Jahre Arbeit. Und zwar richtig intensive Arbeit mit vielen Etappen dazwischen. Eigentlich war aber schon länger klar, dass ich ein neues Album mache, weil ich den ersten Song schon lang hatte. Das war „Dreh mich ins Licht“. Ich hatte den Text vom ersten Song ursprünglich für mein vorheriges Album gedacht. Da passte er dann aber nicht so ganz. Deshalb war klar, dass ich ein drittes Album machen werden würde. Aber ganz ehrlich: Dieses Mal war es wirklich ein Kraftakt.


Hast Du Dir irgendwann in dieser Zeit mal die Frage gestellt: Warum mache ich all das eigentlich?

Nein, überhaupt nicht. Ich muss das tun. Das ist ein innerer Drang. Wenn ich keine Songs schreibe, gehe ich ein. Andere müssen unbedingt in Urlaub fahren, ich muss unbedingt Musik machen. Das ist einfach so. Wenn du Musik schreibst und entdeckst wie das ist, dann kannst Du Dich gar nicht dagegen wehren. Es ist so etwas Schönes, einen Song zu schreiben, den am Wickel zu haben und die Ideen, die du hast in den Stift zu drücken, das dann auch musikalisch zu untermalen und die Stimmung einzufangen, das ist grossartig.

«Wenn du Musik schreibst und entdeckst wie schön das ist, einen Song am Wickel zu haben und die Ideen, die du hast in den Stift zu drücken, dann kannst Du Dich gar nicht dagegen wehren.»

War dieser Drang, Musik machen zu müssen schon immer da bei Dir?
Ich habe das mit 13 für mich entdeckt. Da habe ich mich abgegrenzt von Familie und Geschwistern. Ich musste da meine Rolle finden: Wo und wer bin ich in dieser Konstellation? Mein Adoptivvater hat mir Bob Dylan nahe gelegt und das habe ich dann aufgesaugt und verinnerlicht. Irgendwann habe ich selbst zur Gitarre gegriffen, angefangen das Instrument zu lernen und erste Sachen zu schreiben. Das ging relativ schnell: Ich konnte zwei Akkorde, da habe ich den ersten Song geschrieben. „Es ist Mitternacht“ hiess der, glaub ich. Da ging es wirklich los und ich habe das alles nach und entdeckt. Erst Strassenmusik, dann eigene Bands. Es war übrigens auch immer so, dass ich mich über Musik definiert habe. In meinem Freundeskreis sind zum Beispiel alles Leute, die ich vor allem über die Musik kennen gelernt habe.


In dem Titel „Tief im Ärger“ heisst es: „Ich dachte nicht, dass man/so was erleben kann/ Ich dachte nicht, dass man so was überleben kann/Doch man kann, man kann“ Das klingt dort und auch in anderen Texten fast nach dem Soundtrack zur Corona-Krise. Absicht oder Zufall?

Das ist natürlich Zufall. Ich habe den Text vor einem Jahr geschrieben und damals natürlich nicht ahnen können, dass uns so etwas bevorsteht. Aber ich habe durchaus wahrgenommen, dass sich in der Welt gerade Sachen verändern. Da findet gerade was statt, was schon vor Corona spürbar war. Das muss gar nicht eine Unsicherheit sein, ich finde es ist eher so eine Unklarheit, die da kommt.


Wie drückt sich diese Unklarheit aus?

Ich beobachte zwei parallele Entwicklungen: Politisch weiss man nicht, wie es sich weiter entwickelt mit all den Populisten und Autokraten in Machtpositionen weltweit. Einerseits. Andererseits gibt es auch ein neues politisches Bewusstsein in der jüngeren Generation. Sie formieren sich anders und treten lautstark für ihre Interessen ein. Das alles habe ich beim Songschreiben wahrgenommen und dem wollte ich mit dem Album nachspüren.


Und was hast Du gespürt?

Ich sehe bei einigen sehr viel Frust und Traurigkeit, so eine Alltagstristesse von der wir nicht genau wissen, wo wir mit ihr hin müssen. Politisch nehme ich eine Menge wahr, was so passiert und das hat natürlich auch Auswirkungen auf unser Miteinander. Das wollte ich einfangen. Das zieht sich durch das ganze Album durch. Ich glaube auch, dass das Album deshalb sehr gut in die Zeit passt. Es ist etwas, das nahe und tief geht.

«Ich sehe bei einigen sehr viel Frust und Traurigkeit, so eine Alltagstristesse von der wir nicht genau wissen, wo wir mit ihr hin müssen.»

Mit dem Titel „Streunen ohne Schnur“ triffst Du gerade eine Sehnsucht vieler Menschen nach einem Leben ohne Beschränkungen. Was bedeutet der Titel für Dich? Und warum hast Du ihn als Titelsong ausgewählt?
Das ist deshalb der Titelsong geworden, weil es sehr gut einfängt, was die Platte aussagt. Ich wollte tatsächlich die Platte so machen, wie der Titel klingt: Also erstmal rumstreunen und schauen. Ich wollte mir die Zeit nehmen, wollte beobachten, von außen gucken was passiert. Dieses Album sollte nicht so sehr, das ausdrücken, was ich empfinde, keine Geschichten von mir erzählen, sondern eher das abbilden, was im Land passiert.


Siehst Du auch Hoffnung in Zeiten der Krise?

Ich bin da gar nicht so pessimistisch. Es ist doch so: Wenn Du eine Raupe fragst, ob sie ein Schmetterling werden will oder lieber Raupe bleiben will, dann wird sie vermutlich sagen: Och, lass mich mal lieber Raupe bleiben. Sie nimmt sich so die Chance, die Welt, ihre Welt zu verändern, mal anders zu betrachten. Ein bisschen so ist das gerade auch bei uns. Es verändert sich etwas, das macht unsicher, weil vieles so unklar ist. Aber irgendwann lichtet sich der Nebel und man wird sehen, es geht weiter. Ich möchte durchaus etwas Positives sehen in dem Ganzen. Meine Botschaft ist: Wir müssen keine Angst haben.


In dem Album steckt noch mehr Blues als in den Vorgänger-Alben. Hast Du Deinen Stil jetzt gefunden?

Das weiss ich gar nicht so genau. So arg bluesig finde ich das eigentlich gar nicht. Klar, es gibt die Bluesnummern, aber eben nicht nur. Es gibt auch Folk- und Liedermachersongs. Gerade „Egal, was passiert“ ist zum Beispiel eher ein Singer-Songwriter-Titel. Ich versuche immer eine Mischung zu machen und dabei trotzdem ehrlich zu bleiben. Ich finde, das ist ganz gut geglückt bei dem Album.


Also ist das Album auch ein bewusstes Spiel mit verschiedenen Genres?

Ja. Es gibt Ausreisser in verschiedene Genres. Mit „Tief im Ärger“ das Funkige, dann haben wir mit Patrick Manzecchi am Schlagzeug das freie Jazzige, was so ein bisschen verspielter klingt. Es gibt ein paar schöne Melodien, die ein bisschen fröhlicher sind und ein paar, die ein bisschen ernster sind und tiefer gehen. Ich finde das ist eine gute Mischung dieses Mal. Ich bin sehr glücklich mit der Platte.

«Den richtigen Flow, die richtige Mischung zu finden, zählt mit zu den schwierigsten Aufgaben bei so einer Platte.»

Was auffällt ist: Das Album folgt einer klaren Choreografie, es hat einen klaren erzählerischen Bogen. Wie lange dauert es bis man die richtige Song-Reihenfolge für so ein Album hat und wie oft wirft man das um?
Das ist unglaublich schwere Arbeit. Da den richtigen Flow, die richtige Mischung zu finden zählt mit zu den schwierigsten Aufgaben bei so einer Platte. Das muss man sich wirklich gut überlegen. Wichtig ist, dass man am Ende das Gefühl hat, es ist rund. Es muss in sich stimmig sein. Die Platte soll ihre Geschichte erzählen. Wenn das aufgeht, hat man die richtige Reihenfolge gefunden.

Blöde Frage gerade, aber wird es irgendwann eine Tournee geben mit dem Album?
Tja. Es war alles fix geplant. Jetzt ist aber natürlich alles abgesagt wegen des Coronavirus’. Ich spiele live mit Band nun ein bisschen später: In Konstanz am 25. September im K9 und im Norden spiele ich am 23. Oktober. Wer nicht so lange warten will: Am 29. Mai gebe ich ein Online-Konzert auf der WebStage Konstanz. Das kann man von überall aus via Stream anschauen. Bei der für Herbst geplanten Tournee muss man mal abwarten, da wollen jetzt natürlich alle spielen. Im Zweifel weiche ich auf den Winter aus. Was ich aber auch machen werde in den nächsten Monaten ist, ein bisschen als Ein-Mann-Band über die Dörfer zu tingeln. Die Musik der Band kommt dann von der Platte und ich singe und spiele Gitarre live dazu. Und im Herbst kucken wir weiter, was mit einer weiteren Tournee möglich ist. 

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