Konzertbericht

Streunen ohne Schnur im „Backstage“ zu Konstanz am 29. Mai 2020

(…) Pünktlich um 20:30 Uhr startete Behning in sein Programm. Die Großaufnahme eines Plattenspielers wurde gezeigt, und die für den Abend angekündigte „Band“ kam letztlich von der auf dem Spieler liegenden Vinyl-Scheibe. Richtig gelesen! Nach dem ersten Song „Drehe mich ins Licht“ und einer kurzen Begrüßung des Publikums erklärte der Musiker auch die Sache mit der Schallplatte, die während seines Auftritts lief (…)

Es gibt was zu feiern! Alex Behning hat sein drittes Album fertig und am Freitag (29.5.) auf CD und Schallplatte veröffentlicht. „Streunen ohne Schnur“ heißt die neue Scheibe, die wir Euch auch schon empfohlen habe (siehe HIER), und eigentlich sollte sie am Tag ihres Erscheinens mit viel Tamtam und einem dafür geeigneten Rahmen bei einem Record Release Concert vorgestellt werden. Viele Leute sollten kommen, zu Behnings Musik das Leben feiern und ein paar Stunden Spaß mit Gleichgesinnten haben. Alex hätte seine Band mitgebracht, seine Anlage aufgebaut, beide soundtechnisch lecker eingepegelt, und schon hätte sie losgehen können, die große Party zur Geburt der neuen Langrille. Hätte … Die Auflagen und Verbote, die aufgrund der Corona-Krise aufgestellt wurden, machten durch Alex‘ ursprüngliche Idee einen dicken roten Strich. Nix mit vielen Leuten, die sich vor seiner Bühne tummeln und ihn, seine Band und das neue Werk sachgerecht feiern. Was nun?

In Zeiten dieser von Viren bestimmten Lebensführung und Freizeitgestaltung, wo Mensch längst nicht alles machen darf, wonach ihm gelüstet, müssen auch die Musiker Ideen entwickeln, wie sie ihre Fans und Sympathisanten erreichen können. Die einen ziehen auf große Parkplätze um und spielen live vor Autos, andere stellen sich auf Hinterhöfe und spielen live vor Bewohnern großer Wohnblöcke, die der Darbietung auf ihren Balkonen beiwohnen können (ob sie nun wollen oder nicht) und wieder andere suchen sich ein muckeliges Plätzchen um ihre Lieder zu spielen und via Stream ins Internet zu senden. Und Freunde, glaubt mir … gerade bei der zuletzt genannten Form der Darreichung von Musik habe ich in den vergangenen Tagen schon richtig schlimme Erlebnisse gehabt. Eine bekannte Kapelle aus Leipzig lud ihre Fans zu einem Studiokonzert ein. Zum verabredeten Zeitpunkt leierte sich das Ensemble einen halbstündigen Auftritt mit Musik aus der Konserve (Voll-Playback!!!) aus dem Kreuz und erfand damit die „Miniplaybackshow“ neu. Ein anderer Herr tritt auf diese Art und Weise gefühlt alle zwei Tage auf, sitzt dabei Gitarre spielend und sich selbst offenbar mit seinem Smartphone filmend auf `nem Stuhl und lässt sein Publikum zu bescheidenem Bild und Ton an seiner Turnstunde teilhaben. Das hat alles nicht sehr viel mit Live-Konzerten und schon lange nix mit Rock’n’Roll zu tun, sondern eher mit dem Riesenslalom der Herren: Immer weit am Ziel, dem Publikum Qualität anzubieten und es nicht zu enttäuschen, mit Höchstgeschwindigkeit vorbei. Braucht kein Mensch! Auch Alex Behning hat sich für diese Art des Auftritts entschieden, um sein Record Release Concert nicht ausfallen lassen zu müssen. Wohl wissend, dass es dabei viele Fallstricke und Stolpersteine gibt. Mutig und erlebnisorientiert stürzte er sich gestern in dieses Abenteuer.

Um eines vorweg zu nehmen: Es war gut, dass Alex es so gemacht hat, wie er es gemacht hat. Das Konzert fand anders als geplant und trotz aller Hindernisse und Verbote statt. Das kuschelige Nest für diese Mugge samt Sendemöglichkeiten bot ihm das Rockcafé „Backstage“ in Konstanz am schönen Bodensee. Insgesamt drei Kameras wurden aufgebaut, um Alex mit seiner „Band“ gut einfangen zu können. Auch in Sachen Ton hatte man geeignetes Equipment gefunden, um ein Maximum ans Ohr des interessierten „Konzertbesuchers“ zu transportieren. Von der Peinlichkeit der eben geschilderten Smartphone-Übertragung war man hier also weit weg. Parallel zum Konzert lief ein moderierter Live-Chat, in dem sich die Zuhörer treffen konnten. Dieser wurde von zwei Mädels aus Alex‘ Crew moderiert und der Künstler während seines Auftritts direkt mit frischen Wortmeldungen versorgt. Da Alex als auftretendem Künstler im „Backstage“ der direkte Kontakt mit dem Publikum fehlte, holte er sich so zumindest ein bisschen Feedback und Sicherheit, dass sein Konzert bei den Leuten da draußen gut ankommt. Und so saßen die interessierten Zuhörer schon ein paar Minuten vor der angekündigten Zeit vor ihren Geräten und warteten auf den Beginn der Show. Der Besucherzähler oben im Bildschirm ließ alle Beteiligten wissen: Das Interesse der Leute ist da … man wartet auf Alex Behning und die Live-Premiere seines neuen Albums.

Pünktlich um 20:30 Uhr startete Behning in sein Programm. Die Großaufnahme eines Plattenspielers wurde gezeigt, und die für den Abend angekündigte „Band“ kam letztlich von der auf dem Spieler liegenden Vinyl-Scheibe. Richtig gelesen! Nach dem ersten Song „Drehe mich ins Licht“ und einer kurzen Begrüßung des Publikums erklärte der Musiker auch die Sache mit der Schallplatte, die während seines Auftritts lief. Diese hatte er sich extra für seine Solo-Auftritte von einem Hamburger Freund anfertigen lassen. Auf ihr befinden sich alle Lieder in Instrumentalfassungen. Mittels einer Fußschaltung kann Alex die Platte starten und auch wieder anhalten.

Er selbst spielt dazu Gitarre, Mundharmonika und singt live. In all der Zeit, in der ich mich mit Musik beschäftige, Konzerte besuche oder über Konzerte lese, habe ich sowas noch nicht gesehen oder gehört, dass jemand seine Begleitung in dieser Form mit auf die Bühne bringt. Keine Ahnung, ob das ein Alleinstellungsmerkmal für Alex Behning ist, aber auf jeden Fall ist das eine ausgefallene und zugleich spannende Idee.

Der Abend mit Alex Behning und seiner VonSchallplatteBand machte Spaß, diese ungewohnte Art des Vortrags war trotzdem etwas gewöhnungsbedürftig. So konnte man im ersten Stück zwar das geniale Gitarrensolo von Wulf Schnaas hören, ihn aber nicht sehen. Ein seltsamer Moment, den man noch öfter erleben sollte, u.a. als später bei „Tief im Ärger“ eine Dobro zu hören, aber niemand zu sehen war, der sie spielte. Bei dem eben genannten Titel stellte der Künstler dann auch die Musiker seiner unsichtbaren „Band“ vor, die ihm über die schwarze Vinyl-Scheibe musizierend zur Seite stand. Unnötig zu erwähnen, dass eine solche Vorstellung für mich ebenfalls neu war. Vor dem Song „Lied der Wahrsagerin“ erklärte Axel außerdem auch die Schwierigkeit, die bei dieser Art des Vortrags lauere. Speziell bei diesem Lied habe die Band im Studio ihren Part eher improvisierend eingespielt, was es ihm jetzt allein auf der Bühne nicht so leicht mache, sich da mit seinem Spiel und Gesang passgenau einzubringen. Es gelang ihm aber, und da darf man dann auch ruhig mal aufstehen und applaudieren. Auch wenn man zu Hause auf der Couch oder vor dem PC und nicht direkt vor der Bühne hockt.

Zwischen den einzelnen Songs gab es immer wieder kurze Ansagen. Dabei erzählte der Musiker viel zu seinen Liedern, ihrer Entstehung und zu Besonderheiten, die seine Arbeit betreffen. Eine direkte Ansprache an sein Publikum fand also trotzdem statt, auch wenn Alex die Leute, die ihm zuhörten, nicht sehen konnte. Es war somit für alle Seiten ein navigierter Blindflug unter Live-Bedingungen.

Dies war für den Blues-Musiker auf der Bühne ein ebenso komisches Gefühl, wie für sein Publikum und er merkte später auch an, dass er dieses Konzert zwar sehr gern gegeben habe, er sich für die Zukunft aber eine Wiederholung nicht vorstellen könne. Es sei halt nicht seins, für ein unsichtbares Publikum zu spielen. Aber allein im „Backstage“ war er trotzdem nicht …

Zum Song „Ginster“ erzählte Alex etwas über dessen Entstehung und zum Gast, den er sich dafür auf die Bühne holte. Unter grober Missachtung der 1,5 Meter-Abstandsregelung spielten Alex und Notker Homburger dieses Musikstück, das einst in England am Morgen nach einem Konzert entstanden ist. Bei dieser Instrumentalnummer bekam man dank des Gastes dann auch den passenden Musiker zum Dobro-Sound zu sehen. Direkt im Anschluss an diesen Vortrag gab es die Premiere des Videoclips zum Song „Aussage gegen Aussage“. Ein Freund von Alex hat diesen Clip für ihn gedreht und dieser kam nun erstmals zum Einsatz. Währenddessen wurde auf der Bühne – vom Publikum nicht zu sehen – DieSchallplatteBand für den zweiten Teil des Konzerts umgedreht.

Vielleicht noch zwei Worte zu dieser Platte. Auf ihr hatte Alex während ihres Einsatzes ein Wasserglas gestellt und man fragte sich schon zu Beginn, was das zu bedeuten hatte. Es diente als „Beschwerer“. Ohne diesen Kniff hätte sich die Platte zu schnell gedreht und den Ton „verstimmt“, wie den Teilnehmern im Chat durch eine der Moderatorinnen erklärt wurde. Auf der einen Seite ein nützlicher Trick zur Drosselung der Geschwindigkeit, auf der andern Seite aber auch ein Lieferant von netten Nebeneffekten!

Zum Einen konnte man als Zuschauer so besser sehen, wann sich die Platte drehte und wann Alex sie anhielt, und zum Anderen lieferte das Glas bei den Aufnahmen in der Totalen ungeplant tolle Lichteffekte. Manche Dinge entstehen eben erst durch Zufall.

Der zweite Teil des Konzerts war dann den eher ruhigen Tönen des Alex Behning überlassen. Lieder wie „Weit weg“, „Schwarze Katze kreuzquer“ oder „Egal was passiert“ leben von der inneren Ruhe und Entspanntheit, die sie ausstrahlen. Lediglich das schon erwähnte „Lied der Wahrsagerin“ brach da etwas aus, denn hier ist nur der Anfang in ruhigen Fahrwassern unterwegs. Die schon erwähnte Improvisation beim Einspielen der Nummer im Studio sorgt aber dafür, dass nach hinten raus ordentlich Druck auf den Kessel kommt. Dieses vom Südstaaten-Flair durchzogene Lied bekommt im Verlauf noch eine scharfe Orgel kredenzt und steigert sich ab diesem Moment in einen Rausch, bis „der Wahnsinn regiert“. Verschärfter Stoff für die Ohren und die Seele!

Man war gerade so herrlich im Fluss, als der Vater von „Streunen ohne Schnur“ schon das letzte Lied ankündigte. An dieser Stelle bekräftigte er nochmals seinen Wunsch, sich möglichst bald live und in Farbe bei einem Konzert sehen zu können und verwies zur Verabredung zu solch einem Date auf seine Homepage und die dort veröffentlichten Termine. Er begann mit „Egal was passiert“ seinen letzten Song zu spielen und noch bevor der letzte Ton verklungen war, wurden die schriftlich formulierten Zugabe-Rufe der am Chat teilnehmenden Konzertbesucher immer mehr. Diese wurden dem Künstler über seine Chat-Moderatorinnen mitgeteilt, so dass dieser von der Begeisterung der Leute ob der gelungenen Umsetzung seiner Record Release Mugge informiert wurde. Das übliche Ritual, bei dem der oder die Musiker die Bühne verlassen um dann – überrascht von so viel positiver Resonanz – einen Nachschlag zu servieren, entfällt beim Streaming-Konzert ohne direkten Publikumskontakt. Also blieb Alex gleich sitzen, verließ die Bühne gar nicht erst, und schmiss mit „Streunen ohne Schnur“, dem Titelstück seines Albums, noch einen Scheit für das von ihm in den voran gegangenen 60 Minuten angezündete Feuer nach. Zu den letzten von seiner DieSchallplatteBand gespielten Klängen des Liedes stand er nun auf und machte mit einem „Bob Dylan Zitat“ den Abspann selbst. Seine Danksagung an alle Beteiligten und die Credits hatte er auf weißen Kartonkarten notiert, hielt sie hoch und ließ wie einst Dylan in seinem Clip zu „Subterranean Homesick Blues“ eine nach der anderen fallen. Dann war Schluss.

Es war gut, dass Alex Behning das Konzert zum Erscheinen seines dritten Albums nicht komplett hat ausfallen lassen. Er als Künstler hat das Maximalste aus der Situation heraus geholt und auch seine Partner vom Rockcafé „Backstage“ taten alles dafür, dass es ein gelungener Abend wurde. Und Ihr ahnt es sicher schon … Es gibt ein ABER. Wenn man sich die Platten von Alex Behning anhört und merkt, wie viel Liebe zum Detail da drin steckt und wie viel Wert er auf einen guten Sound legt, kann man nur erahnen, wie wenig ihn als Musiker diese Art des Vortrags glücklich gemacht hat. Er merkte dies ja auch während seines Vortrags an, dass er sich eine Wiederholung nicht vorstellen kann. Ich hoffe für uns und wünsche auch gerade ihm, dass bald Lockerungen in all die Beschränkungen und Verbote kommen mögen, und man sowas wie dieses Konzert hier wieder in Echt erleben darf. Sowohl Alex als Musiker als auch seine Songs gehören auf eine Live-Bühne, in einen echten Saal, vor echtes Publikum und verstärkt mit einer echten PA. Das ist die empfohlene Rezeptur und DARF NICHT auf ein Minimum zum Konsum über Smartphones und klapperige PC-Boxen herunter gebrochen werden. Ein Neymar spielt schließlich auch nicht auf dem Kunstrasen eines Kreisligisten. Danke für diese tolle Stunde am Freitagabend vor dem heimischen PC. Mir hat das nur noch mehr Appetit auf ein Konzert in einer Zeit, in der sich die Welt wieder richtig herum dreht, gemacht. Dann gibt’s auch was zu feiern!

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